Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum sicherstellen

Frankenberg(Martina Kieweg/nh). Heftig diskutiert, nun in Kraft: Wie wirkt sich das Krankenhausstrukturgesetz in der Praxis aus? „Wir müssen beides im Blick haben: Patienten und Krankenhäuser“, sagt Prof. Josef Hecken, der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Vor rund 100 Zuhörern aus Politik, Kommunalverwaltung, Ärzteschaft und Pflege ging er in seinem Impulsvortrag im Kreiskrankenhaus Frankenberg insbesondere auf die Schwierigkeiten ländlicher Krankenhäuser in strukturschwachen Gebieten ein. Prof. Hecken thematisierte dabei die einheitlichen Anforderungen an die Qualität der Versorgung und deren unterschiedlichen Auswirkungen auf Krankenhäuser in Zentren und im ländlichen strukturschwachen Raum. „Er ist wohl der wichtigste Mann für uns“, attestierte ihm Dr. Edgar Franke (SPD), Vorsitzender des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages. „Den gesundheitspolitischen Rahmen der medizinischen Versorgung gibt der Gesetzgeber vor. Und Prof. Hecken muss mit seinem unabhängigen Ausschuss diese Gesetze bewerten und für die Praxis umsetzbar machen.“ Unter der Vielzahl an Themen ist sich Dr. Franke allerdings sicher: „Die medizinische Versorgung auf dem Land brennt allen auf der Seele“. „Eine gute Versorgung ist bei uns in Deutschland gegeben, ob in einem kleinen oder großen Krankenhaus“, bewertet Prof. Hecken das derzeitige Gesundheitssystem. Doch auch ein kleines Krankenhaus wie Frankenberg müsse Schritt mit den Anforderungen der Gesetzgebung halten können.  202 Milliarden seien in 2015 in die Finanzierung der Leistungen im Bereich Gesundheit geflossen. Größter Ausgabenpunkt: die Krankenhäuser mit mehr als 70 Milliarden Euro. „Bedarfsplanung seitens des Gemeinsamen Bundesausschusses bedeutet auch: ambulante und stationäre Versorgung auf dem Land genau betrachten. Findet sich nach einem halben Jahr Suche kein Arzt für den Kassensitz, dann muss es auch die Möglichkeit geben, diesen am Krankenhaus anzusiedeln. Wo der Patient versorgt wird, ob im, am oder neben dem Krankenhaus, das ist dem Patienten mit Herzrasen ziemlich egal. Der braucht Hilfe,“ wurde Prof. Hecken deutlich. „Aber auch über die Strukturen, in denen er wie versorgt wird und welche Maßnahmen und richtigen Wege es geben kann, auch das gilt es festzulegen. Bei allem medizinischem Fortschritt müsse der Patient immer im Mittelpunkt stehen. Und dazu zähle auch, dass die Qualität der Versorgung stetig überprüft und sichergestellt werde.Krankenhäuser im ländlichen Raum hätten aber spätestens seit dem Krankenhausstrukturgesetz mit gestiegenen Qualitätsanforderungen und definierten Mindestmengen kaum noch eine Chance, sich zu refinanzieren. Denn aufgrund der im Vergleich zu Einrichtungen in Ballungszentren geringeren Fallzahlen stellen die Anforderungen eine kaum zu lösende Herausforderung dar. Wenn es dann auch noch zu qualitätsabhängigen Vergütungsabschlägen komme, ließe sich ein Haus der Grund- und Regelversorgung in strukturschwachen ländlichen Regionen nicht mehr wirtschaftlich betreiben.

 

Die beschlossene Qualitätsoffensive des Gesetzgebers innerhalb der Krankenhausstrukturgesetzes dürfe nicht dazu führen, dass „kleine Häuser unter den Vorgaben leiden und keine Chance haben, diese umzusetzen“. „Als derjenige, der die Gesetzte mit Leben füllen soll, sage ich: Die Länder müssen an dieser Stelle abweichen können.“ Daher habe der Gemeinsame Bundesausschuss im vergangenen Jahr Regelungen beschlossen, nach denen Krankenhäuser und Krankenkassen zukünftig Sicherstellungszuschläge zu vereinbaren haben. Können sich die Vertragspartner nicht einigen, so entscheidet die für die Krankenhausplanung zuständige Landesbehörde. „Sicherstellungszuschläge sind ein wichtiges Instrument, um in strukturschwachen Regionen ein stationäres Versorgungsangebot aufrecht zu erhalten“, betonte Prof. Hecken. Mit dem Sicherstellungszuschlag sollten Defizite aufgrund eines geringen Versorgungsbedarfs ausgeglichen werden, die nicht kostendeckend aus den regulären Mitteln des Entgeltsystems für Krankenhäuser finanziert werden können, aber für eine flächendeckende Basisversorgung unverzichtbar sind. Kriterien, um überhaupt eine entsprechende Unterstützung zu erlangen, seien gegeben, wenn mindestens 5000 Einwohner eine PKW-Fahrzeit von mehr als 30 Minuten aufwenden müssen, um zum nächstgelegen geeigneten Krankenhaus zu gelangen. Und Dr. Franke ergänzte: „Wir brauchen einen Wettbewerb um Qualität im Gesundheitswesen, aber trotzdem müssen wir die kleinen Krankenhäuser auf dem Land stärken. Denn sie sind für die Grundversorgung unverzichtbar, schon allein deshalb, weil viele niedergelassene Ärzte in nächster Zeit aufhören. Deshalb muss man Versorgung immer sektorenübergreifend denken.“ Mit Ende 2016 seien daher Zuschläge für die Basisversorgung der Fachabteilungen Innere Medizin und Allgemeinchirurgie festgelegt worden. Im vergangenen Jahr von den Kriterien für notwenige Vorhaltungen ausgenommen war der Bereich der Geburtshilfe, auf den die Sicherstellungszuschläge aber nach Aussage Prof. Heckens ausgedehnt werden sollen.  Zweiter inhaltlicher Schwerpunkt des Vortrags war die Ausgestaltung der künftigen Notfallversorgung. „Mein größtes Sorgenkind“, bekannte Prof. Hecken. Entscheidungen zu neuen Vorgaben für die Notfallversorgung auch an kleineren Krankenhäusern ständen bislang noch aus. Denn würde das Stufenmodell der Gesetzlichen Krankenversicherungen umgesetzt, gäbe es in den Krankenhäusern des gesamten ländlichen Raumes keine Notfallversorgung mehr. Notfälle würden – auf die Region bezogen – in Kassel oder Marburg behandelt, denn eine eigene Fachabteilung mit eigenem Chefarzt und Assistenten ließe sich nicht finanzieren. „Hier müssen wir verantwortlich im Sinne aller handeln, damit wir auch weiterhin eine Basisversorgung flächendeckend gewährleisten können.“ Für das Kreiskrankenhaus und die Vitos GmbH als Veranstalter hatte sich mit dem Vortrag mindestens ein Wunsch erfüllt: mit Dr. Franke als Vorsitzendem des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages und Prof. Hecken als unparteiischem Vorsitzenden des Gemeinsamen Bundesausschusses legten zwei der wichtigsten Mitspieler im deutschen Gesundheitssystem sehr überzeugend dar, dass sie die großen Nöte der kleinen Häuser im ländlichen Raum erkannt haben. „Und vor allem haben sie konkrete Ansätze aufgezeigt, wie Krankenhäuser wie unseres tatsächlich dauerhaft gestärkt werden können“, dankte Reinhard Belling als Geschäftsführer der Vitos GmbH.

Hintergrundinformationen: Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA)

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ist das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärztinnen und Ärzte, Zahnärztinnen und Zahnärzte, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland. Er bestimmt in Form von Richtlinien den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für etwa 70 Millionen Versicherte. Der G-BA legt fest, welche Leistungen der medizinischen Versorgung von der GKV übernommen werden. Den gesundheitspolitischen Rahmen der medizinischen Versorgung in Deutschland gibt das Parlament durch Gesetze vor. Aufgabe des G-BA ist es, innerhalb dieses Rahmens einheitliche Vorgaben für die konkrete Umsetzung in der Praxis zu beschließen. Die von ihm beschlossenen Richtlinien haben den Charakter untergesetzlicher Normen und sind für alle Akteure der GKV bindend. Bei seinen Entscheidungen berücksichtigt der G-BA den allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse und untersucht den diagnostischen oder therapeutischen Nutzen, die medizinische Notwendigkeit und die Wirtschaftlichkeit einer Leistung aus dem Pflichtkatalog der Krankenkassen.

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